Die SBB ist am Limit unterwegs

Verspätungen, Ausfälle, überfüllte Züge – die SBB fahren am Limit. Über Jahre hinweg haben sie ihr Angebot ausgebaut, neue Passagiere angelockt und dabei den Unterhalt des Netzes vernachlässigt. Jetzt liegt die Rechnung vor: Sie ist milliardenschwer, und das ist erst der Anfang. Haben sich die SBB übernommen?

Um sieben Uhr früh musste SBB-Chef Andreas Meyer am vergangenen Dienstag im Bundeshaus antraben. Die Verkehrskommission des Nationalrats hatte ihn zu sich bestellt. Und Meyer kam mit schlechten Nachrichten: Die SBB vernachlässigen ihr Schienennetz. Es fehlt das Geld. Eine Milliarde Franken wären nötig, um nur schon die aufgestauten Arbeiten zu erledigen. Dazu kommen 100 bis 250 Millionen Franken mehr pro Jahr für den künftigen Unterhalt der Schienen. Gelingt dieser Kraftakt nicht, so legte Meyer den Nationalräten dar, werden sich Einschränkungen und Störungen des Zugbetriebs häufen.

Dabei legen schon heute Pannen regelmässig Teile des Bahnnetzes lahm. Am 3. September brachten drei Störungen beim Zürcher Bahnhof Hardbrücke den Pendlerverkehr für Stunden aus dem Takt. Wegen des dichten Fahrplans können Ausfälle dieser Art innert Minuten ein Chaos anrichten. Fallen gar Hauptverkehrsachsen aus, läuft oft überhaupt nichts mehr: Am 26. März riss kurz vor Feierabend ein Intercity in Dietikon die Fahrleitung herunter. Für zwei Stunden war die Strecke zwischen Zürich, Bern und Basel unterbrochen. Züge in die ganze Schweiz fielen aus, wer noch in einem rollenden Zug sass, musste mit einer einstündigen Verspätung rechnen.

«Benedikt Weibel hat versagt»

Die Ursache für solche Pannen liegt in der schlechten Wartung der Anlagen. «Die SBB haben den Unterhalt auf ein absolutes Minimum reduziert», sagt Walter von Andrian, Chefredaktor und Herausgeber der «Schweizer Eisenbahn-Revue». Bei den SBB werde extrem gespart. Reserven beim Personal, dem Rollmaterial und der Infrastruktur seien abgebaut worden. Weil die Zahl der Stützpunkte für Pannenfälle reduziert wurde, dauert es bei Störungen länger, bis das Personal vor Ort ist.

Der Grund für die Misere liegt aber nicht nur im Sparkurs der SBB, sondern auch in der massiven Belastung des Bahnnetzes. Die SBB fahren am Limit. Die Passagierzahlen steigen jährlich auf neue Höchstwerte. Für die Periode von 2003 bis 2008 rechneten die SBB mit einem Anstieg der Nachfrage um 18 Prozent. Tatsächlich stieg sie um 32 Prozent. «Niemand konnte ernsthaft mit einem derart starken Wachstum rechnen», sagt von Andrian.

Was für jedes andere Unternehmen ein Anlass für Euphorie wäre, wird für die SBB zum Problem. Um die Nachfrage zu bedienen, reizen sie das System völlig aus. Alles, was auf Schienen fahren kann, wird eingesetzt. 17 Prozent mehr Züge als noch vor sechs Jahren rollen heute durch die Schweiz. Kein anderes Bahnnetz weltweit wird intensiver befahren. Die Folge davon: Die Belastung und damit die Abnützung der Schienen und Fahrleitungen – auch durch das grössere Gewicht der Züge – steigt in einem Ausmass, wie es bei den Bundesbahnen und beim Bund niemand vorausgesehen hat. «Man hat die Frage des Unterhalts während Jahren unterschätzt», sagt SP-Nationalrätin und Verkehrspolitikerin Jacqueline Fehr. Ihr Kollege Ulrich Giezendanner (SVP) gibt die Schuld dafür Benedikt Weibel, bis Ende 2006 SBB-Chef. «Er hat versagt», sagt Giezendanner. Weibel gibt den Ball zurück an die Politiker. Diese hätten durch knapp bemessene Gelder den Spardruck erhöht.

 

Tatsache ist, die SBB hatten in den letzten Jahren vor allem ein Ziel: Ausbau. Die Investitionen in die Infrastruktur waren zum Teil so hoch wie jene ins Strassennetz. Nur hatte niemand daran gedacht, dass jeder investierte Franken jährliche Unterhaltskosten von 4 Rappen verursacht, Tendenz steigend. Das Geld dafür war in diesem Ausmass nicht budgetiert. Die Kosten türmten sich auf, Unterhaltsarbeiten blieben liegen. Derzeit ist auf 13 Streckenabschnitten der Sanierungsbedarf so gross, dass die Züge dort aus Sicherheitsgründen langsamer fahren müssen.

 

Die heutigen Probleme beim Unterhalt sind erst der Anfang. Denn die Bahn baut weiter aus. In acht Jahren soll der Gotthard-Basistunnel eröffnet werden. Bis heute gibt es kein offizielles Budget über die Kosten für den Unterhalt. Es dürften Hunderte von Millionen Franken pro Jahr sein. Für die nächsten 20 Jahre sind bereits weitere Investitionsprojekte aufgegleist: das erste ist 5,4, das zweite 12 bis 21 Milliarden Franken schwer (siehe Kasten).


Die Bahnhöfe sind zu klein

Problematisch wird die Situation auch für die Bahnhöfe. Die SBB rechnen bis 2030 mit einem Anstieg der Passagiere um 50 Prozent. Zu den Hauptverkehrszeiten soll sich die Zahl gar verdoppeln. Das ist zu viel für viele Bahnhöfe in grossen Agglomerationen. «Schon heute reichen die eingerechneten 50 Sekunden pro Halt nicht aus, um die Pendler ein- und auszusteigen zu lassen», sagt der Lokomotivführer Hubert Giger. «Die einzige Möglichkeit, den Fahrplan einzuhalten, wäre, die Leute auf dem Perron stehen zu lassen.»

 

Die Perrons seien zu schmal, um die Massen aufzunehmen, die künftig mit den neuen Doppelstockwagen transportiert werden, sagt Marc Schneiter, Verkehrsplaner beim Planungsbüro Metron. Auch die Zahl der Zugänge auf den Perron – meistens Unterführungen – ist zu knapp. Statt heute zwei bis drei Zugänge müssten es laut Schneiter in Zukunft fünf bis sechs sein.

 

Wie kam es zu diesem Ansturm? Mit dem besseren Angebot der Bahn hat sich das Verhalten der Menschen verändert. Die SBB ermöglichen heute, in der gleichen Zeit grössere Strecken zurückzulegen. Dieser Service wird genutzt. Wohn- und Arbeitsort können weiter auseinanderrücken. Das Pendeln zwischen Zürich und Bern etwa ist heute für Tausende Alltag.

 

«Das Angebot der SBB ist weltweit einzigartig», sagt Verkehrsökonom Markus Maibach vom Planungsbüro Infras. Doch wirtschaftlich rentieren könne es nicht. Denn die SBB würden politisch gesteuert. «Und die Politik will lieber bauen als das Bestehende zu unterhalten. Die Finanzierungssysteme des öffentlichen Verkehrs sind auf Ausbau statt auf Unterhalt ausgerichtet», sagt Maibach. Der Bund zahlt die Bauten, für den Unterhalt aufkommen müssen die SBB. Dass dies nicht mehr länger so weitergeht, hat man jetzt offenbar auch in Bern bemerkt. Nächstes Jahr wird der Leistungsauftrag des Bundes mit den SBB im Parlament neu ausgehandelt (siehe Kasten). Während in den früheren Vereinbarungen die Kosten jeweils gedrückt worden sind, sind sich zumindest im Moment linke wie rechte Politiker einig: Es muss mehr Geld geben für die SBB, und es müssen Ausbauprojekte zugunsten des Unterhalts aufgeschoben werden.

 

Für Verkehrspolitiker Ulrich Giezendanner ist klar: «Wenn wir den Unterhalt verbessern wollen, dann müssen wir Neubauprojekte sistieren.» In diesem Punkt geht der Politiker mit SBB-Chef Andreas Meyer einig. Wenn kein Geld da sei, müsse der Bund seine Bestellung reduzieren, sagt Meyer. In einem anderen Punkt scheint ebenfalls Einigkeit zu herrschen. Die Billettpreise sollen steigen, fordert Giezendanner. Laut den SBB ist die nächste Preisrunde auf den Dezember 2010 geplant.

«Einzige Möglichkeit, den Fahrplan einzuhalten, wäre, die Leute auf dem Perron stehen zu lassen.» Auf 13 Strecken ist der Sanierungsbedarf so gross, dass die

Züge dort langsamer fahren müssen.

 

Zu schmale Perrons, zu wenig Ausgänge für die Pendlerströme der Zukunft 

Die SBB rechnen damit, dass sich die Passagierzahlen in den Stosszeiten verdoppeln. Das ist zu viel für die Bahnhöfe. Es drohen chaotische Zustände.

Schon heute schöpfen die SBB ihre Kapazitäten bis zum Äussersten aus. Doch die Passagierzahlen steigen weiter, mit gravierenden Folgen. Bis im Jahr 2030 werden nach Prognosen der SBB 50 Prozent mehr Passagiere mit der Bahn unterwegs sein. Zu Spitzenzeiten werden sich sogar doppelt so viele Menschen auf die Perrons und in die Züge drängen wie heute. Nicht nur das Schienennetz kommt damit ans Limit. Auch in vielen Bahnhöfen wird es zu eng werden. «Die einzige Möglichkeit, den Fahrplan einzuhalten, wäre, die Leute einfach stehen zu lassen», sagt Lokomotivführer Hubert Giger.

 

Experten bestätigen, dass viele Bahnhöfe für die erwarteten Passagierzahlen nicht ausgelegt sind. Die Perrons seien zu schmal und die Zahl der Zugänge reiche nicht aus, sagt Verkehrsplaner Marc Schneiter. Damit die Passagiere in der Unterführung nicht steckenbleiben, müssten die Perrons künftig über fünf bis sechs Zugänge erreichbar sein – heute sind es zwei oder drei. Prekär wird die Lage vor allem in den Agglomerationen werden, etwa an den Zürcher Bahnhöfen Hardbrücke oder Stadelhofen.

 

Die SBB wollen nun reagieren. Im Rahmen des Projektes «Bahn 2030» sollen auch die Bahnhöfe ausgebaut werden. Fraglich ist, ob dafür genügend Mittel vorhanden sind. Den SBB fehlt schon jetzt das Geld, um den Unterhalt des Schienennetzes sicherzustellen. Allein 1 Milliarde Franken wird es kosten, um die aufgestauten Unterhaltsarbeiten zu erledigen. Fliesse dieses Geld nicht, häuften sich Pannen und Ausfälle, legte SBB-Chef Andreas Meyer diese Woche der Verkehrskommission des Nationalrats dar.

 

Milliardenschwere Ausbauprojekte treiben die Kosten für den Unterhalt künftig noch weiter in die Höhe. Wie stark, ist in vielen Fällen nicht klar. Über die Unterhaltskosten des Gotthardbasistunnels zum Beispiel gibt es keine genauen Berechnungen.

 

SBB-Chef erklärt den hohen Finanzbedarf

Die jüngsten, gehäuft auftretenden Betriebsstörungen auf dem Netz der SBB sind am Dienstag auch in der Verkehrskommission des Nationalrates thematisiert worden. Die Verkehrspolitiker trafen mit SBB-CEO Andreas Meyer und Infrastrukturchef Philippe Gauderon zusammen.

Die SBB benötigen ab 2010 Hunderte von Millionen Franken zusätzlich für die Infrastruktur. Der steigende Geldbedarf, eine Studie über den Zustand des SBB-Netzes und die Betriebsstörungen waren am Dienstag 22. September 2009 Thema eines Treffens der SBB-Spitze mit der Verkehrskommission des Nationalrates.

SBB-CEO Andreas Meyer und Infrastrukturleiter Philippe Gauderon hätten die Verkehrskommission über die laufenden Untersuchungen zum Zustand des SBB-Netzes sowie über die jüngsten Betriebsstörungen informiert, sagte SBB-Sprecher Daniele Pallecchi am Dienstag auf Anfrage.

 

«Bei der Infrastruktur besteht ein Nachholbedarf von einer Milliarde Franken», sagte Pallecchi weiter. Gründe seien die höhere Netzbelastung, gesetzliche Auflagen zur Sicherheit sowie gestiegene Baukosten, erklärte Pallecchi. Um diesen Nachholbedarf abzubauen, braucht es demnach ab 2010 während mindestens 10 Jahren rund 100 Millionen Franken pro Jahr.


Es geht um Substanzerhaltung

Zudem rechneten die SBB mit Mehrkosten, um die Substanz der Infrastruktur künftig zu erhalten. Zwischen 2010 und 2016 seien dazu pro Jahr über 100 Millionen Franken zusätzlich nötig, sagte der SBB-Sprecher.

Der Zustand des SBB-Netzes sei aber insgesamt gut, betonte Pallecchi. Dies ergäben die Zwischenresultate einer Studie der SBB. Die endgültigen Resultate der Untersuchung lägen Ende Dezember vor.


Ohne Geld drohen Betriebseinschränkungen

Die SBB-Delegation zeigte der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF) auch das Szenario auf, falls keine zusätzlichen Gelder fliessen: Dann müsse mit vermehrten Langsamfahrstellen oder anderen Betriebseinschränkungen gerechnet werden, sagte Pallecchi.

 

Solche Einschränkungen würden aber nicht an viel befahrenen Strecken vorgenommen. Auch an der Sicherheit sparen die SBB nicht, betonte er. Die häufigen Betriebsstörungen in den vergangenen Wochen waren ebenfalls Thema des Treffens.


Immer mehr Menschen sind betroffen

«Die SBB erklärte der Kommission, dass die in letzter Zeit aufgetretenen Störungen zufällig und jeweils völlig unterschiedlicher Ursache waren», berichtete Pallecchi. Zudem gingen die Störungen im Verhältnis zur Netzauslastung seit 2003 zurück.Die öffentliche Wahrnehmung der Verspätungen und Ausfälle begründete der SBB-Sprecher durch die hohe Systemauslastung: «Heute hat jede Störung grössere Auswirkungen und immer mehr Leute sind davon betroffen.»


Substanzerhaltung ist prioritär

Laut den Parlamentsdiensten nahmen die Verkehrspolitiker besorgt und kritisch zur Kenntnis, dass der Finanzbedarf steigen wird und auch ein Nachholbedarf besteht. Sie hielten fest, dass die Diskussion über die finanziellen Mittel bei den Gesprächen über die Leistungsvereinbarung mit den SBB im kommenden Jahr weitergeführt werden muss. Dabei waren sie sich einig, dass Sicherheit und Substanzerhaltung gegenüber Neu- und Erweiterungsinvestitionen prioritär sind.

 

 

 

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SBB-Pannen wegen vernachlässigter Wartung

Erstmals gibt SBB-Chef Andreas Meyer zu: Es gibt einen Zusammenhang zwischen den Pannen und der vernachlässigten Infrastruktur der SBB. Dies sagt er im Interview mit 20 Minuten Online. Mit dem Berliner S-Bahn-Chaos habe er nichts zu tun.

 

Die Infrastruktur der SBB hat einen Nachholbedarf von 1 Milliarde Franken. Ist das der Grund für die Pannenserie in den letzten Monaten?

Andreas Meyer: Wir schätzen, dass etwa 10 Prozent aller Pannen auf den Revisionsstau beim Fahrweg zurückzuführen sind. Grundsätzlich ist das Netz der SBB aber in gutem Zustand.

 

Worauf sind die restlichen 90 Prozent der Störungen zurückzuführen?
Das SBB-Netz ist ein hochkomplexes System. Die Belastung ist in den letzen Jahren massiv angestiegen. Dass es zu Pannen kommt, liegt in der Natur der Sache. Aber ich bedaure natürlich, wenn unseren Kunden Unannehmlichkeiten entstehen durch SBB-Pannen. Dafür entschuldige ich mich. Insgesamt haben wir die Pünktlichkeit in den letzten Monaten gesteigert. Wir sind über den gesteckten Zielen. Wir müssen die Kirche im Dorf lassen: Die SBB erbringt eine hochstehende Leistung in Sachen Sicherheit und Qualität. Auch im Vergleich mit dem Ausland.

 

Aus SBB-internen Quellen hört man aber, das genau diese Leistung in den letzten Jahren abgenommen habe. SBB-Mitarbeiter, die mit dem Dossier Infrastruktur vertraut sind, kritisieren, dass der Präventivunterhalt der Infrastruktur seit Jahren vernachlässigt werde.
Das stimmt so pauschal sicher nicht. Beispielsweise setzen wir Mittel aus dem Konjunkturprogramm auch für präventiven Unterhalt ein. Wir wünschen uns, dass unsere Mitarbeiter direkt auf uns zu kommen, wenn sie Mängel beobachten. Die nehmen wir ernst. Den Auftrag, einen Bericht über das SBB-Netz zu erstellen, haben wir übrigens auf Grund von Hinweisen und Beobachtungen unserer Mitarbeiter gegeben.

 

Wieso hat man mit diesen Präventivwartungen so lange zu gewartet?
Man hat nicht zugewartet. Wo Nachholbedarf erkannt wurde, gingen wir dem nach. Mich beschäftigt vor allem die Frage, wie man den jetzt systematisch erfassten Nachholbedarf in der Infrastruktur möglichst schnell aufholen kann. Das ist jetzt meine Aufgabe.

 

Kritische Stimmen sagen, dass das Gebot der Pünktlichkeit auf Kosten der Sicherheit zu gehen drohe. Wenn beispielsweise nötige Revisionen an Schienen oder Weichen aus Kostengründen verschoben werden, weil sie im Moment nicht betriebsrelevant sind. Man fahre dann einfach langsamer an den entsprechenden Stellen.
Wir haben derzeit 13 Langsamfahrstellen im ganzen Netz, die wir bis Ende Jahr beheben werden. Die Sicherheit war aber nie in Frage gestellt, sie ist oberstes Gebot der SBB.

 

SBB-Angestellte bemängeln, dass die Monteure, die Pannen zu beheben haben, zu wenig ausgebildet sind an den neuen Systemen.
Die Qualifizierung unserer Mitarbeiter ist eine Daueraufgabe der SBB. Es kann sein, dass in Einzelfällen Leute nicht immer ganz auf dem neusten Stand sind. Wir investieren im Bereich Infrastruktur-Unterhalt jährlich 35 Millionen Franken in die Ausbildung, und das wird so bleiben. Vor allem im Bereich der Sicherheitsanlagen haben wir eine Ausbildungsoffensive gestartet.

Wie finanzieren Sie die Sanierung der Infrastruktur, falls der Bund die Leistungsvereinbarung nicht erhöht?
Die Leistungsvereinbarung mit dem Bund ist eine unserer Lebensadern. Momentan zeigen wir dem Bund auf, was wir bisher gebraucht haben, um den Betrieb aufrecht zu erhalten, und was wir in Zukunft benötigen, um den gestiegenen Belastungen gerecht zu werden.

 

Und wo sparen Sie, falls der Bund keine weiteren Mittel zur Verfügung stellt?
Dann müssen wir uns überlegen: Wo können wir in betrieblichen Abläufen sparen, ohne Sicherheit und Qualität der Leistung zu beeinträchtigen? Der Bund muss aber selbst priorisieren, wo er sparen will. Wir machen lediglich Vorschläge.

 

Und wie lauten ihre Vorschläge?
Wir machen keine Kompromisse bei Sicherheit und Qualität. Das ist unser eiserner Grundsatz. Die SBB-Infrastruktur schreibt dieses Jahr wie bereits 2008 einen Verlust. Ich habe die Abteilung persönlich dazu ermuntert, im Zweifel lieber ein negatives Ergebnis zu machen, als an der falschen Stelle zu sparen. Das steht natürlich in einem Spannungsverhältnis zu eine möglichst haushälterischen Umgang mit öffentlichen Geldern.

Woher soll das fehlende Geld kommen?

Derzeit haben wegen der Krise auch Bund und Kantone weniger Geld, was eine Herausforderung ist. Längerfristig führt kein Weg an neuen Finanzierungsmöglichkeiten vorbei.

Woran denken Sie?

Das sind in erster Linie politische Überlegungen, ob man das machen will über zusätzliche Steuereinnahmen oder die Umlenkung anderer Abgaben.

 

Beispielsweise über die Mineralölsteuer?
Das ist eine politische Frage.

 

Schlechte Infrastruktur sorgte bei der Berliner S-Bahn für Schlagzeilen. Der Verkehr musste grösstenteils eingestellt werden. Ihr Name ist in diesem Zusammenhang gefallen.
Diese Angelegenheit hat nichts mit mir zu tun. Eine Zeitung hat richtig geschrieben, dass ich 2004 bis 2006 den Bereich Stadtverkehr der DB geführt habe, zu der auch die S-Bahn Berlin als eines von dreissig Unternehmen gehört. Und irgendwo stand, dass die Probleme 2004 angefangen haben.

 

Und die Medien haben daraus einen Zusammenhang konstruiert?
Jawohl. Was schon deshalb falsch ist, weil ich bei der S-Bahn Berlin ja keinerlei operative Verantwortung hatte.

 

Wofür waren Sie 2004 bis 2006 bei der S-Bahn Berlin verantwortlich?
Ich habe zusammen mit zwei anderen Geschäftsführern die Gruppe Stadtverkehr geleitet, die aus den beiden S-Bahnen Berlin und Hamburg sowie vielen Busgesellschaften bestand. Die einzelnen Gesellschaften haben Geschäftsführer, die für das operative Geschäft zuständig sind. Ich sass nur im Aufsichtsrat der Gesellschaft, war aber nicht einmal Vorsitzender.

 

Sie mussten aber massiv sparen.
2004 wurde zwischen der S-Bahn Berlin und dem Besteller ein Verkehrsvertrag abgeschlossen, der die Gesellschaft in die roten Zahlen geführt hat. Und da bestand der Auftrag, den Betrieb kostendeckend zu machen.

 

Bei der Wartung wurde nicht gespart?
Es gab Überlegungen bei allen Teilen des Unternehmens. Aber es war Aufgabe der Geschäftsleitung der S-Bahn Berlin zu schauen, wie man die vorgegebenen Ziele erreichen kann. Dass dabei geltende Vorschriften und Weisungen zu beachten sind, versteht sich von selbst. Die aktuellen Problemen gehen meines Wissens auf Versäumnisse bei der Instandhaltung zurück. Die Geschäftsführung kam offensichtlich auch einigen Aufforderungen der Sicherheitsbehörden nicht nach. Das lag weit ausserhalb meines Wirkungskreises.

 

Sie haben demzufolge nie angeordnet, dass man bei der Wartung eine bestimmte Anzahl Stellen streichen muss?
Die Organisation der Instandhaltung ist Sache der Geschäftsführung.

Jetzt laufen Ermittlungen der Bahn und der Staatsanwaltschaft. Haben Sie davon etwas erfahren?
Nein. Es gab keinen Kontakt von der DB oder den Behörden zu mir in dieser Angelegenheit. Ich musste mich am Wochenende zuerst bei Leuten der DB über die Angelegenheit kundig machen, nachdem ein Artikel in der Schweizer Presse erschienen war.

 

Sie werden in dieser Sache nichts unternehmen?
Nein, sicher nicht. Mehr geht es darum, dass nicht falsche Behauptungen in die Schweiz getragen werden. Ich will nicht, dass der Ruf der SBB oder auch mein Ruf dadurch in irgend einer Art geschädigt wird.

 

 

Info-Box - Andreas Meyer

Schweizer Bähnlersohn mit Auslanderfahrung
Andreas Meyer hat 2007 die Nachfolge von Ex-SBB-Chef Benedikt Weibel angetreten. Der 48-Jährige hat Rechtswissenschaften studiert und kennt die SBB aus unterster Perspektive: Während des Studiums hat er als Wagenreiniger gearbeitet. Sein Vater war Visiteur bei der SBB und vorwiegend für die Bremskontrollen im Hafenbahnhof Birsfelden zuständig. Meyer hat sich nach eigener Auskunft früh um eine Tätigkeit im Ausland bemüht. 1998 nahm er seine Tätigkeit bei der deutschen Bahn auf, wo er 9 Jahre blieb. Von 2004 bis 2006 leitete er als Geschäftsführer die Gruppe Stadtverkehr. Dazu gehört die S-Bahn Berlin.

S-Bahn-Chaos in Berlin
Im Juli brach der Betrieb der Berliner S-Bahn vorübergehend zusammen und in der vergangenen Woche mussten dreiviertel aller Wagen wegen defekten Bremszylindern aus dem Verkehr gezogen worden. Grund: Mangelnde Wartung der Züge. Wie inzwischen bekannt wurde, sind Wartungsprotokolle gefälscht und Vorschriften für Prüfarbieten systematisch umgangen worden. Ein Bahnmanager der DB sagte dazu, dass er sich nicht vorstellen könne, dass so etwas ohne Wissen des Managements geschehe. Inzwischen hat sich die Staatsanwaltschaft Berlin eingeschaltet. Gegenstand der Abklärungen ist nun, wer die Regelverstösse im Wartungssystem zu verantworten hat.