Die ganze Talschaft ist Opfer der Absprache zwischen SBB und BLS

Info- und Protestveranstaltungen haben stattgefunden, doch die Anbindung des Kandertals ans Bahnnetz wurde nicht besser. Und schon wieder ist ein IC-Halt in Frutigen gestrichen worden.

Beim Neat - Portal in Frutigen kreuzen sich die Züge, die durch den Tunnel rasen oder die Bergstrecke bedienen: Der Fahrplan bleibt im Kandertal ein Ärgernis.                                                                           Foto: Matthias Rögener 

«Die Marktabsprache zwischen SBB und BLS verhindert, dass die BLS eigene Schnellzüge Bern–Kandersteg–Brig führen kann. So wird eine ganze Talschaft Opfer von Absprachen zwischen Fernverkehrbetreiber SBB und Regionalverkehranbieter BLS. Man kann dies auch als Kartell bezeichnen.» Christian Rubin, Regierungsstatthalter von Frutigen, nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um den Anschluss des Tales ans öffentliche Verkehrsnetz geht. Das jüngste Ärgernis ist, dass der IC 1087 (Bern ab 20.35 Uhr) im Fahrplanentwurf 2010/2011 (gültig ab 13.Dezember) wegfällt.

«Versprechen einhalten»
Es ist nicht das erste Mal, dass IC-Halte in Frutigen und Kandersteg verschwinden, weil die Züge plötzlich durch den Basistunnel direkt nach Visp rauschen. «Und das können wir nicht akzeptieren», sagt Rubin, der in seiner Funktion als Statthalter letzten Herbst einen runden Tisch mit interessierten Organisationen und Personen organisiert hat. «Die Anliegen sind klar, wir wollen, dass die Versprechungen der Neat-Abstimmung eingehalten werden.» Er ist überzeugt: «Es gibt ohne bauliche Anpassungen Möglichkeiten, Verbesserungen zu realisieren. Aber dazu müsste man die Marktabsprachen aufheben, in denen BLS und SBB sich gegenseitig nicht wehtun wollen.»

Aus dem Fahrplanentwurf geht hervor, dass die BLS den ausfallenden IC durch einen zusätzlichen Zug Spiez ab 21.12 Uhr ersetzen will, doch fehlt bisher die Finanzierungszusage des Bundes. Neu geplant sind zusätzliche RE (Spiez ab 6.42/7.42 Uhr sowie Frutigen ab 8.03/19.03 Uhr) und eine Vorverlegung des ersten morgendlichen RE, welcher den Anschluss in Frutigen auf den IC 811 (Bern an 6.54 Uhr) ermöglicht.

Bilanz: Mager
Dass heute schon IC-Halte ohne Probleme möglich sind, davon ist auch die Organisation Pro Frutigland mit ihren 2570 Mitgliedern überzeugt. Vizepräsident Jean Wenger: «Dies ist auch Inhalt der Stellungnahme zum Fahrplanentwurf. Der Bahnhof Frutigen ist IC-gerecht ausgebaut, durch schnellere Fahrten im Tunnel kann der zusätzliche Halt realisiert werden, und zudem fahren schon heute viele IC durch den Bahnhof oder stoppen sogar – ohne Möglichkeit zum Ein- und Aussteigen.» Er bilanziert aber freud- und ein wenig mutlos: «All die Schreiben des Regierungsstatthalters namens Politiker, Gemeinden, Touristiker und Vereinigungen wurden salopp negativ beantwortet, ohne auf die Sache einzutreten. Das Gleiche geschieht mit den Leserbriefen.»

Reaktion der BLS
«In der Planungsphase war nur ein einziger Halt im Oberland vorgesehen. Die BLS setzte sich jedoch mit Erfolg für die beiden Halte in Thun und Spiez ein», erklärt deren Mediensprecher Hans Martin Schaer auf Anfrage. «Mit dem Entscheid, die von der Gemeinde und vom Kanton geforderte Umfahrung Frutigen zu bauen, war klar, dass IC-Züge dort nicht mehr halten würden.»

An dieser Einschätzung habe sich seit der Inbetriebnahme der Neat nichts geändert. Angesichts des 21 Kilometer langen Einspurabschnitts und der einzigen mit dem Basistunnel verbundenen Perronkante in Frutigen sei der betriebliche Spielraum für zusätzliche Halte gering. Daran ändere auch die Heraufsetzung der zulässigen Geschwindigkeit auf 250 Stundenkilometer nichts; dieses Tempo würden allenfalls die neuen Cisalpinos erreichen.

Ausflugskonzept gefährdet
Bei der Einführung eines IC-Haltes in Frutigen müsste das Angebotskonzept des Lötschbergers stark angepasst werden, gibt Schaer zu bedenken. Rund ein Drittel der Nachfrage würde wegfallen, «und damit wäre das Konzept für die Vermarktung des Tagesausflugsverkehrs in Frage gestellt». Namentlich für Mülenen, Reichenbach, Kandersteg, das Lötschental und die Südrampe ergäben sich markante Verschlechterungen. «Aus unserer Sicht kann die Verbesserung des Fahrplans nur mit dem in Aussicht gestellten stündlich ab/bis Bern verkehrenden Lötschberger und der schrittweisen Ausdehnung des Halbstundenangebots Spiez–Frutigen erreicht werden», hält Schaer fest. Auf die vom Statthalter kritisierte «Marktabsprache» geht er in der schriftlichen Antwort nicht ein.

Unmut bleibt
Die Gemeinden haben zum Fahrplanentwurf ihre Stellungnahmen abgegeben. Die negativen Punkte überwiegen, wenn auch zum Beispiel der Halbstundentakt Spiez–Frutigen am Morgen und Abend lobend erwähnt wird. Pro Frutigland und Kandersteg schrieben beispielsweise, dass «der Umstand, dass zwei eigenwirtschaftlich interessierte Bahnbetreiber (SBB und BLS) einander gegenüberstehen», kein Entscheidungsgrund sein dürfe, dass den Forderungen nicht entsprochen werde.

Auf nationaler Ebene sind Vorstösse der Nationalräte Walter Donzé sowie Hansruedi Wandfluh gemacht worden. Ebenfalls haben zahlreiche Gespräche stattgefunden, sei dies mit dem Bundesrat oder der SBB-Spitze. Die Resultate sind mager, es wird immer wieder auf die Engpässe bei der Infrastruktur verwiesen. Auch im letzten Schreiben von Seiten des SBB-CEO Andreas Meyer wird auf den Bau des dritten Gleises Rütti–Zollikofen verwiesen, ab Dezember 2011 solle sich die Situation verbessern. Fazit: Meyer bedauert, dass er keine berechtigte Hoffnung auf einen regelmässigen IC-Halt in Frutigen machen kann.

Manuel Rohr (Facebook)
Mittlerweile werden auch die modernen Kommunikationsplattformen genutzt, um den Druck zu erhöhen. Manuel Rohr hat im Internet die Facebook-Gruppe «Für IC-Halte und bessere Bahnverbindungen im Kandertal» gegründet, die derzeit 419 Mitglieder hat. Eine Onlinepetition an Verkehrsminister Leuenberger unterzeichneten 148 davon. Rohr: Als Pendler bin ich selber betroffen, wobei ich immer noch hoffe, dass IC-Halte möglich werden. «Ich schreibe auch eine Maturaarbeit über den Sinn und Unsinn von IC-Halten in Frutigen», sagt der Gymnasiast. Die Internetpetition gewinne an Bedeutung, da Befürworter und Organisatoren vor allem junge Leute seien, die auch künftig das ÖV-Angebot benützen möchten – oder dann eben aufs Auto umsteigen oder sogar das Tal verlassen würden. Rohr plant auch einen Blog, in dem ÖV-Benutzer ihren Frust loswerden können. Statthalter Christian Rubin lobt das Engagement des 18-jährigen Frutigers: «Es ist wichtig, dass sich die Jugendlichen mit dem Thema befassen.»

Wie gehts weiter?
Die Kandertaler Grossräte haben den Auftrag erhalten, sich mit dem Kanton zusammenzusetzen und nochmals zu intervenieren. «Ich bin sicher, die BLS könnte das Angebot auf ihrer Stammstrecke verbessern, wenn die Politik mitmacht», sagt Statthalter Rubin. Als realistisch sieht er morgens und abends je drei bis vier IC-Halte für die Pendler und tagsüber ein gutes und direktes Angebot durch den Regioexpress von Bern über den Berg nach Brig. «Diese IC-Halte sind volkswirtschaftlich wichtig. Sonst wechseln noch mehr Pendler auf die Strasse. Unsere Forderung entspricht ja eigentlich auch nur den gemachten Versprechungen.» Allerdings müsse der Lötschberger noch zulegen: «Was vor Inbetriebnahme der Neat kaum vorkam, ist heute normal: Bei 80 Prozent der Sitzungen, bei denen ich auf die fahrplanmässigen Ankunftszeiten des Regioexpress schaue, kommen Teilnehmer zu spät.»